Bundesamt für Privatversicherungen BPV

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Swiss Solvency Test - wie steht es um die Risikofähigkeit der Versicherer?

Philipp Keller, Mitglied der Amtsleitung BPV

Wie sicher sind die Versicherer? Diese Frage bewegte in jüngerer Zeit eine breite Öffentlichkeit. Medien, Politiker und Versicherte nahmen wahr, dass die Risiken, denen Versicherungsgesellschaften ausgesetzt sind, vielfältig sind: Angespannte Aktienmärkte, Terroranschläge, Naturkatastrophen oder die demographische Entwicklung sind nur einige davon. Einen neuartigen Ansatz zur Ermittlung der Risikofähigkeit - der "Sicherheit" also - der Versicherer verfolgt das Bundesamt für Privatversicherungen (BPV) mit dem Schweizer Solvenztest (SST).

Kurz gesagt bestimmt der SST ein Zielkapital, welches notwendig ist, die eingegangenen Risiken mit ausreichender Sicherheit zu überstehen. Die Berechnungen des SST beruhen dabei auf einer marktnahen Bewertung aller Aktiven und Passiven (Assets und Liabilities). Darunter versteht man für Assets Marktwerte, soweit diese vorhanden sind. Der marktnahe Wert der Verpflichtungen dagegen ist definiert als der bestmögliche Schätzwert (Best Estimate) zuzüglich eines Mindestbetrags. Dieser Mindestbetrag wird so bestimmt, dass ein anderer Versicherer die Verpflichtungen übernehmen würde, falls der erste Versicherer sein Versichertenportefeuille abgeben müsste. Der Mindestbetrag entschädigt eine an der Übernahme eines Portefeuilles interessierte Gesellschaft für das damit verbundene Risiko.

Die Ziele des SST
Mit dem Schweizer Solvenztest werden im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt:
  • Zum einen soll damit das Risikomanagement in Versicherungsunternehmen gefördert werden. Das Resultat des SST ist also mehr als nur das Zielkapital. Ebenso wichtig sind der Weg zu diesem Resultat, einzelne Zwischenresultate, Szenarien und Einschätzungen des Verantwortlichen Aktuars.
  • Ferner hat das Zielkapital die Funktion eines Warnsignals: Ist das vorhandene risikotragende Kapital geringer als das notwendige Zielkapital, so bedeutet dies nicht die Insolvenz eines Unternehmens. Vielmehr ist entweder das notwendige Zielkapital über eine gewisse Frist aufzubauen oder die Risiken sind dergestalt zu reduzieren - z.B. durch verbessertes Asset Liability Management (ALM) - dass das resultierende Zielkapital durch die vorhandenen Anlagen abgedeckt werden kann.

Der SST wird weitgehend prinzipienbasiert formuliert. Dies bedeutet, dass wenn möglich keine starren Formeln zur Berechnung des Zielkapitals vorgegeben werden, sondern dass die Aufsichtsbehörde Leitplanken definiert, die eingehalten werden müssen. Es wird den Gesellschaften überlassen, den für sie angepassten Weg zur Berechnung zu wählen. Dies bedingt für die Aufsicht vermehrte Einsicht in die gesellschaftsspezifischen Modelle und wird den Versicherungsunternehmen Anreize geben, ihre Risiken selber zu quantifizieren und zu managen.

Wie funktioniert der SST?
Die Elemente des SST
Das Konzept des SST besteht aus 3 Teilen: Den analytischen Modellen, den Szenarien sowie einem Aggregationsschema, welches die Resultate der analytischen Modelle mit den Auswertungen der Szenarien zusammenfügt.
  • Die analytischen Modelle berechnen das notwendige Zielkapital unter der Annahme, dass keine ausserordentliche Situation vorherrscht, das heisst, dass die historisch ermittelten Parameter sowie die Modelle ihre Gültigkeit haben. Die analytischen Modelle bestehen aus von der Aufsicht vorgegebenen Standardmodellen für Finanz-, Lebensversicherungs-, Schadenversicherungs- und Krankenversicherungsrisiken. Das Finanzrisikomodell besteht aus einem einfachen Kovarianzansatz für Marktrisiken und aus dem Standardansatz von Basel II für Kreditrisiken. Das Standardmodell für Lebensversicherungsrisiken besteht ähnlich wie das Marktrisikomodell aus einem Kovarianzmodell mit vorgegebenen Risikofaktoren wie Sterblichkeit, Invalidät, etc. Die Schaden- und Krankenversicherungsmodelle bestehen aus vorgegebenen Verfahren zur Quantifikation der Versicherungsrisiken.
  • Die Szenarien werden einerseits von der Aufsichtsbehörde vorgegeben und sind andererseits vom Verantwortlichen Aktuar mit eigenen Szenarien zu ergänzen, welche auf die spezifische Risikosituation des Unternehmens zugeschnitten sind.
" Das Aggregationsverfahren bildet ein gewichtetes Mittel der Resultate der analytischen Modelle sowie der Auswertungen der Szenarien.

Regeln und Rahmenbedingungen
Versicherungsunternehmen können die analytischen Modelle teilweise oder zur Gänze durch eigene Modelle (interne Modelle) ersetzen, welche allerdings den quantitativen, qualitativen und organisatorischen Anforderungen der Aufsichtsbehörde genügen müssen. Insbesondere müssen diese internen Modelle in die Prozesse des Versicherungsunternehmens eingebettet sein und dürfen nicht ausschliesslich zur Berechnung des Zielkapitals verwendet werden.
Die marktnahe Bewertung der Verpflichtungen besteht aus der Summe des Best-Estimates und einem Minimalbetrag. Der Best-Estimate der Verpflichtungen ist der Erwartungswert der zukünftigen mit der risikolosen Zinskurve (Bundesanleihen) diskontierten, vertraglich zugesicherten Zahlungsflüsse unter Berücksichtigung folgender Grundsätze:
  • Vollständigkeit: Alle Verpflichtungen, insbesondere implizite und explizite Optionen und Garantien, sind zu bewerten. Dabei ist zu beachten, dass die Bewertung nach anerkannten finanzmathematischen Methoden erfolgt, wobei den Eigenheiten der Optionen wie Laufzeit oder Versichertenverhalten Rechnung zu tragen ist.
  • Für Schadenfälle, deren Schadenhöhe noch nicht bekannt ist, ist eine Rückstellung in der Höhe des Erwartungswertes der Schadenhöhe zu bilden. Für eingetretene, aber noch nicht gemeldete Schäden (IBNR) ist eine angemessene Rückstellung zu bilden.
  • Best Estimate-Prinzip: Die Bewertung enthält keine impliziten oder expliziten Sicherheits-, Schwankungs- oder sonstigen Zuschläge für das Versicherungsrisiko, sondern bezieht sich ausschliesslich auf den Erwartungswert der Verpflichtungen. Versicherungsrisikozuschläge fliessen ausschliesslich in das Zielkapital ein. Beispielsweise ist mit biometrischen Grundlagen zweiter Ordnung zu rechnen oder Best Estimate Annahmen an die Schadenteuerung miteinzubeziehen.
  • Aktualität: Die Bewertung erfolgt auf der Basis der aktuellsten verfügbaren Informationen.
  • Transparenz: Die Modelle, Parameter und Abweichungen von anerkannten Grundlagen sind explizit zu erläutern und der Aufsichtsbehörde vorzulegen.
Die Folgen für die Versicherer
Bei der Entwicklung des SST wurde darauf geachtet, dass der zusätzliche Aufwand für die Versicherer bei der Durchführung des Solvenztests verhältnismässig sein wird. Viele der Berechnungen werden jetzt schon von den meisten Versicherungsunternehmen durchgeführt, auch ohne dass von der Aufsicht dazu Vorgaben gemacht wurden. Insbesondere ist zu erwarten, dass die Versicherer auch ohne regulatorische Vorgabe die Best-Estimate Rückstellungen berechnen wie auch explizit die Optionen und Garantien bewerten.
Eine bedeutende Konsequenz des SST wird sein, dass dem Verantwortlichen Aktuar, aber auch dem Management mehr Verantwortung übertragen wird. Der Verantwortliche Aktuar hat zuhanden der Geschäftsleitung einen SST-Bericht zu verfassen, der von der Aufsicht eingefordert werden kann. Der SST-Bericht dient dazu, sowohl die Risikosituation als auch die Berechnung des Zielkapitals zu dokumentieren. Der SST Bericht ist so zu verfassen, dass einerseits die Geschäftsleitung und der Risikomanager die wahre Risikosituation der Versicherungsunternehmens erfassen können, und andererseits ein externer Aktuar die Berechnung des Zielkapitals nachvollziehen kann. Der SST Bericht soll also nicht ein ‚Datenfriedhof' werden, sondern so prägnant wie möglich aber so explizit wie notwendig verfasst werden.
Die Aufsicht wird sich mit Hilfe des SST vermehrt an der tatsächlichen Risikosituation der Versicherungsunternehmen orientieren und zusätzlich zu den statutarischen Zahlen die marktnahe, d.h. ökonomische Bewertung der Assets und Verpflichtungen analysieren. Die Kontrolle der verwendeten internen Modelle wird für die Aufsicht zu einer Herausforderung werden.

Schweizerische Aufsichtsbehörde leistet Pionierarbeit
Der SST orientiert sich an internationalen Entwicklungen, wobei allerdings den Eigenheiten des Schweizer Versicherungsmarktes Rechnung getragen wird. Risikobasierte Solvenzsysteme gibt es schon seit längerer Zeit in Kanada, Finnland und den USA. Australien, Grossbitannien, Holland und Singapur haben SST-ähnliche Systeme kürzlich eingeführt oder stehen vor der Einführung. In der EU wird seit einigen Jahren an Solvency II gearbeitet, und mit einer EU-weiten Einführung wird in ungefähr 5 Jahren gerechnet.
Der SST wurde kompatibel zum zukünftigen Europäischen Solvenztest gemäss Solvency II konzipiert, soweit dieses schon absehbar ist. Da die Schweiz mit der Einführung des SST früher beginnen wird als die EU, nimmt sie innerhalb Europa eine Vorreiterrolle ein.

Stand der Dinge und Ausblick
Die Entwicklung des SST startete im Frühjahr 2003 und geschah in Zusammenarbeit mit dem SAV, dem SVV, Revisionsgesellschaften, Beratungsbüros und Hochschulen. Bis Ende 2003 wurde die Methodik des SST entwickelt, und bis Sommer 2004 wurden Details des SST so ausgearbeitet, dass mit einzelnen Leben- und Schadenversicherer ein Testlauf durchgeführt werden konnte. Dieser Testlauf diente einerseits dazu, gewisse Parameter zu kalibrieren, andererseits den Aufwand für die Versicherer abzuschätzen. Basierend auf den Ergebnissen dieses Testlaufs werden Änderungen und Verbesserungen am SST vorgenommen. Bei dem Testlauf 2004 wurde die Aufsicht von einigen Beratungsbüros (Bacon & Woodrow Deloitte, Ernst&Young, Ecofin, Mercer Oliver Wyman, Tillinghast) unterstützt.
In 2005 wird ein Testlauf mit allen Versicherungsunternehmen durchgeführt, welche sich daran beteiligen wollen. Dieser Testlauf wird wieder dazu dienen, einzelne Parameter und Modelle zu kalibrieren, wie auch die Anwendbarkeit des SST für kleinere Versicherungsunternehmen zu prüfen.
Für die definitive Einführung sind sowohl für die Berechnung der notwendigen Grössen wie zum Beispiel der marktnahen Bewertung der Assets und Liabilities als auch für die Bereitstellung des notwendigen risikotragenden Kapitals Übergangsfristen vorgesehen.
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